Gemeinsam meistern – Dein Kind einfühlsam bei Arztbesuchen begleiten hin zu mehr Harmonie und Ruhe im Familienalltag (mit Download)
Heute nach der Kita steht der geplante Arzttermin an – das hast du deinem Kind soeben mitgeteilt. So richtig Lust hast du nicht, denn tief im Innern befürchtest du, dass es wieder so ablaufen wird wie die letzten Male: Dein Kind will nicht mitkommen, klammert sich an dein Bein und im Wartezimmer spitzt sich die Situation weiter zu. Sobald ihr aufgerufen werdet, möchte es keinen Schritt mehr gehen, weint, legt sich auf den Boden und nichts scheint mehr zu gehen.
Ein Arztbesuch kann für Kinder und Eltern eine Herausforderung sein. Gemeinsam könnt ihr diese meistern, indem du dein Kind einfühlsam und bedürfnisorientiert begleitest und insbesondere für Sicherheit und Orientierung sorgst. Auch dir selbst gegenüber als Elternteil darfst du mit einer wohlwollenden, bedürfnisorientierten Haltung begegnen, denn die Begleitung vor, während und nach einem Arztbesuch kann auch für Eltern herausfordernd und stressig sein. Die nachfolgenden Impulse dürft ihr gerne an eure individuellen Bedürfnisse und die jeweilige Situation anpassen und bei Bedarf ergänzen und erweitern.
Los gehts mit den sechs plus eins Impulsen für eine einfühlsame, achtsame und bedürfnisorientierte Begleitung vor, während und nach Arztbesuchen:
1. Den Arztbesuch ankündigen
Sprich mit deinem Kind in einem altersgerechten Abstand vorab darüber, dass ein Arztbesuch ansteht, worum es geht, wo es genau hingeht, wie ihr dorthin kommt und dass du an der Seite deines Kindes sein wirst. Durch die Ankündigung schenkst du deinem Kind Orientierung, Sicherheit und Vertrauen und eröffnest einen Raum für Fragen und Sorgen. Ein angekündigter Arztbesuch fühlt sich somit weniger wie ein plötzlicher Einschnitt in den Alltag an und dein Kind hat die Möglichkeit, sich auf die Veränderung einzustellen.
Beispielsweise könntest du sagen: „Morgen laufen wir direkt nach der Kita weiter zur Kinderärztin. Du kennst sie schon, da spielen wir immer mit großen Holzbausteinen, wenn wir im Wartezimmer mit den blauen Wänden sind. Sie wird sich deinen Verband und deine Verletzung an deinem linken Arm hier ansehen und schauen, dass alles gut verheilt. Das machen wir, weil mir deine Gesundheit wichtig ist. Ich werde die ganze Zeit morgen bei der Kinderärztin bei dir bleiben.“
Warum das hilfreich sein kann: Wenn Kinder wissen, was auf sie zukommt – besonders in ungewohnten und neuen Situationen – kann eine altersgerechte Vorbereitung ihr Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung und Kontrolle erfüllen. Wenn dein Kind weiß, was es erwarten kann und Vertrauen in deine Unterstützung hat, fördert dies eine entspanntere und ruhigere Atmosphäre.
2. Gefühle benennen und anerkennen
Ein Arztbesuch geht für viele Kinder mit Angst und Unsicherheit. Du kannst dein Kind mit seinen Gefühlen sehen und abholen, wo es gerade emotional steht. Zum Beispiel könntest du auf Augenhöhe deines Kindes gehen und mit einer wohlwollenden Haltung kommunizieren: „Du siehst ängstlich aus, möchtest du wissen, was die Ärztin ganz genau machen wird?“ Durch das Benennen der Gefühle deines Kindes zeigst du, dass du die Ängste und Sorgen ernst nimmst und bereit bist, Orientierung und Sicherheit zu geben.
Sätze wie „Du brauchst keine Angst haben“, „Das wird schon nicht so schlimm“ oder „Da musst du jetzt gar nicht weinen“ können deinem Kind vermitteln, dass du die Gefühle nicht ernst nimmst und sich dein Kind unverstanden, nicht gesehen und ggf. alleine mit den überwältigenden Gefühlen fühlt.
Warum das hilfreich sein kann: Das Benennen und Anerkennen von Gefühlen unterstützt dein Kind darin, mit diesen umzugehen und sie zu regulieren. Dein Kind lernt zudem, dass es in herausfordernden Momenten nicht alleine ist und Unterstützung von dir bekommt. Mit der Zeit kann es durch dieses Vertrauen eigene Wege finden, die eigenen Gefühle zu erkennen und ausdrücken, was es gerade braucht.
3. Arztbesuche spielerisch nachstellen
Rollenspiele können eine passende Strategie sein, um deinem Kind mehr Sicherheit zu vermitteln. Spielt zu Hause den Arztbesuch durch, indem ihr die Situation gemeinsam oder mit Hilfe von Kuscheltieren oder Figuren nachstellt – gerne auch mehrmals. So könnt ihr etwa mit drei Kuscheltieren den Ablauf des Besuchs üben – eines steht für dein Kind, eines für dich und das dritte Kuscheltier für die Ärztin. Erkläre gerne auch, warum der Arztbesuch ansteht und wichtig ist, zum Beispiel: „Teddy geht jetzt zur Ärztin, weil uns die Gesundheit von ihm wichtig ist und wir uns darum kümmern.“
Warum das hilfreich sein kann: Rollenspiele ermöglichen es Kindern, Situationen auf spielerische Weise zu erfassen und sich sicherer zu fühlen. Ängste können abgebaut und Vertrauen aufgebaut werden. Vielleicht bekommst du bei den Rollenspielen auch einen Einblick, welcher Teil des Arztbesuches dein Kind besonders beunruhigt und was es dafür brauchen könnte.
4. Ehrlich sein
Ehrlichkeit ist ein wichtiger Baustein für die Beziehung zwischen deinem Kind und dir. Versuche, deinem Kind in verständlichen und altersgerechten Worten zu erklären, was passieren wird. Statt zu sagen „Das tut gar nicht weh“ oder „Andere Kinder schaffen das auch“, könntest du zum Beispiel sagen: „Der Arzt wird deinen Verband abmachen und dann vorsichtig auf deinen Arm hier unten drücken und eine Flüssigkeit draufsprühen. Das kann etwas unangenehm sein. Ich bin da und halte deine Hand. Zusammen schaffen wir das.“
Warum das hilfreich sein kann: Durch deine Ehrlichkeit vermittelst du deinem Kind: „Ich kann Mama vertrauen. Sie weiß, was passieren wird und passt auf mich auf.“ Diese Zuverlässigkeit stärkt das Vertrauen deines Kindes in dich und in die Situation. Kinder entwickeln so eine Erwartung, dass sie nicht alleine gelassen werden und dass auch Unangenehmes vorab benannt wird. Das gibt ihnen das Gefühl von Schutz und Sicherheit.
5. Bedürfnisse einbinden
Jedes Kind hat in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Bedürfnisse. Bezogen auf einen anstehenden Arztbesuch könnten diese sein: Sicherheit, Trost, Nähe, Schutz, Information, Klarheit, Orientierung, Verlässlichkeit. Schaue, welches Bedürfnis bei deinem Kind unerfüllt oder nicht ausreichend erfüllt sein kann. Du könntest beispielsweise sagen: „Was könnte dir jetzt helfen, damit du dich sicherer fühlst? Möchtest du dein Lieblingskuscheltier mitnehmen?“ Dadurch signalisierst du deinem Kind, dass seine Bedürfnisse gehört und anerkannt werden.
Warum das hilfreich sein kann: Wenn du auf die Bedürfnisse deines Kindes eingehst, lernt es: „Meine Bedürfnisse sind wichtig. Papa kümmert sich um mich und hört mir zu. Er ist für mich da. Ich bin nicht alleine.“ Kinder erleben dadurch, dass sie wertgeschätzt und in herausfordernden Momenten unterstützt werden. Die Erfahrungen stärken nicht nur das Vertrauen in die Eltern, sondern auch das Vertrauen in sich selbst. In zukünftigen Situationen wird dein Kind sich vielleicht daran erinnern und vor dem nächsten Arztbesuch signalisieren: „Ich will wieder mein Lieblingskuscheltier mitnehmen.“
6. Rituale schaffen
Rituale können Sicherheit geben und eine Art Anker für Kinder (und Erwachsene :)) sein und einen Rahmen schaffen, der Verlässlichkeit und Struktur bietet. Überlegt euch deswegen gerne ein kleines Ritual vor Arztbesuchen – wie ein paar gemeinsame Atemzüge, ein gemaltes Herz auf dem Handrücken oder eine kleine Geschichte. Etabliert gerne auch, dass ihr den Arztbesuch zu Hause in Ruhe nachbesprecht, vielleicht beim Zubettgehen. Nehmt euch die Zeit und den Raum, die Erlebnisse des Tages zu besprechen, ihnen Worte zu geben.
Warum das hilfreich sein kann: Rituale können deinem Kind das Bedürfnis nach Sicherheit erfüllen. Somit hat dein Kind eher Ressourcen fürs Kooperieren, wodurch eine entspanntere und harmonische Atmosphäre im Miteinander wahrscheinlicher wird. Zudem gibt eine Nachbesprechung Raum, Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten und vielleicht auch Unsicherheiten anzusprechen. So erfährt dein Kind, dass es mit seinen Sorgen Gehör findet.
6+1. Sich auch als Elternteil wohlwollend begegnen
Es ist völlig verständlich, dass ein Arztbesuch auch für dich als Elternteil stressig ist. Gerade, wenn dein Kind Ängste zeigt, „klammert“ oder weint, kann es schnell passieren, dass du selbst unter Anspannung gerätst, dich mit der Situation überfordert fühlst oder sogar Schuld- oder Schamgefühle entwickelst (z.B. „Was denken die anderen jetzt über mich?“, „Bin ich überhaupt gut genug?“). Wenn du deine eigenen Bedürfnisse ernst nimmst und dich um dich selbst kümmerst, stehen dir mehr emotionale Ressourcen zur Verfügung, um auch deinem Kind Halt und Unterstützung zu geben.
Dafür habe ich aber keine Zeit – ein abschließender Gedanke
Wenn du jetzt denkst: „Ja das klingt ja alles schön und gut, aber die Zeit dafür habe ich gar nicht und das funktioniert ja bei uns eh nicht, bei meinem Kind wird das nicht klappen“:
Ja, die Begleitung deines Kindes in solchen Situationen mag zunächst mehr Zeit, Ressourcen und Geduld erfordern – und nicht alles lässt sich (sofort und auf einmal) im Alltag umsetzen. Gerade unter dem Aspekt, dass Eltern heutzutage oft im Spannungsfeld zwischen Beruf, Haushalt, Alltagsverpflichtungen und den Bedürfnissen der Kinder stehen und besonders in stressigen Phasen, in denen die eigenen Ressourcen ohnehin knapp sind, wirken Strategien zur achtsamen, einfühlsamen und bedürfnisorientierten Begleitung von Kindern oft idealistisch und zeitaufwändig. Es geht jedoch nicht darum, „perfekt“ zu sein oder alle Tipps korrekt anzuwenden. Vielmehr geht es um eine wohlwollende und achtsame Grundhaltung – dir selbst und deinem Kind gegenüber. Ein anderer Blick auf die Situation. Auch um Umlernen und Neubewertungen. Bereits kleine Schritte und Momente der Verbundenheit, emotionalen Nähe und Zuwendung können eine große Wirkung auf die Beziehung zu deinem Kind haben. Denn dein Kind lernt, dass es gehört und verstanden wird, was ihm hilft, schrittweise wichtige emotionale Kompetenzen zu entwickeln. Mit der Zeit kann es immer mehr selbst regulieren, lernt, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken und entwickelt Strategien, um mit herausfordernden Situationen umzugehen.
So schenkt ihr euch euch mittel- und langfristig mehr Leichtigkeit und Unbeschwertheit im Familienalltag. Wenn ihr dabei Unterstützung benötigt oder Fragen auftauchen, melde dich gerne bei mir.
Hier kannst du dir die Impulse kompakt zusammengefasst herunterladen:
Autorin: M.Sc. Psych. Julia Schweitzberger