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Unter die Lupe genommen: Gefühle als Wegweiser

Gefühle sind ein bedeutender Bestandteil unseres Lebens und geben uns wertvolle Hinweise auf unsere Bedürfnisse. Beispielsweise nach der Gewaltfreien Kommunikation – auch GfK abgekürzt – spielen sie eine zentrale Rolle, da sie uns helfen, die Erfüllung oder Unerfüllung unserer Bedürfnisse zu erkennen (Rosenberg, 2012). In diesem Artikel möchte auf das Thema Gefühle unter die Lupe nehmen und beleuchten, wie wir unsere Gefühle wahrnehmen, verstehen und in unsere Kommunikation integrieren können, um die Basis für ein erfüllteres und unbeschwerteres Leben zu schaffen.

Gefühle als Hinweise für unsere Bedürfnisse

Gefühle sind wie ein innerer Kompass, welcher uns signalisiert, ob unsere Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sind. Wenn wir uns beispielsweise ausgeglichen, energiegeladen und zufrieden fühlen, ist dies ein Zeichen dafür, dass viele Bedürfnisse in diesem Moment erfüllt sind. Umgekehrt können Gefühle wie Angst, Traurigkeit oder Wut darauf hinweisen, dass etwas in unserem Leben nicht im Einklang mit unseren Bedürfnissen steht.

Wenn deine Bedürfnisse erfüllt sind, fühlst du dich möglicherweise ausgeglichen, beschwingt, energiegeladen, entspannt, friedlich, gelassen, glücklich, heiter, lebendig, ruhig, sicher, unbekümmert, zufrieden, …

Wenn deine Bedürfnisse hingegen nicht erfüllt sind, fühlst du dich möglicherweise ängstlich, angespannt, bedrückt, einsam, erschöpft, hilflos, müde, traurig, unglücklich, unbehaglich, unwohl, wütend, …

Wenn du zum Beispiel durstig bist, sagt dir dieses Gefühl, dass dein Körper Flüssigkeit benötigt. Wenn du traurig bist, scheint ein wichtiges Bedürfnis von dir nicht erfüllt und du kannst schauen, was du nun brauchst und was dir gut tut. Je früher wir fühlen und spüren, dass ein Bedürfnis nicht erfüllt ist, desto eher können wir uns um die Erfüllung dessen kümmern.

Konkret: Ein paar Beispiele

Für erfüllte Bedürfnisse:

  • Ausgeglichenheit: Du fühlst dich ruhig und gelassen, weil du ausreichend Schlaf hattest und dich ausgewogen ernährst.
  • Zufriedenheit: Du erlebst Freude und bist zufrieden, weil du Zeit mit Menschen verbringst, die dir wichtig sind.

Für unerfüllte Bedürfnisse:

  • Anspannung: Du fühlst dich unruhig und bist angespannt, weil du in einer stressigen Situation bist und dir Unterstützung wünschst.
  • Traurigkeit: Du bist traurig, weil dir Nähe und Gemeinschaft fehlen.

 

Echte Gefühle vs. Pseudogefühle

In der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) wird zwischen „echten Gefühlen“ und sogenannten „Pseudogefühlen“ unterschieden (Rosenberg, 2012). Pseudogefühle sind demnach keine „echten“ Emotionen, sondern Bewertungen oder Interpretationen.

Beispiele für Pseudogefühle sind Formulierungen wie „Ich fühle mich manipuliert/ übergangen/ benachteiligt/ hintergangen/ kontrolliert.“ Diese Aussagen spiegeln oft keine tatsächlichen Gefühle wider, sondern drücken eher ein Urteil über die Situation oder andere Menschen aus. Sie verschleiern unsere „echten Gefühle“, sodass es herausfordernder ist, unsere Bedürfnisse direkt zu erkennen.

 

Wie identifizierst und kommunizierst du deine „echten Gefühle“?

Um von diesen Gedanken und Bewertungen der „Pseudogefühle“ zu deinen „echten Gefühlen“ zu gelangen, kannst du dir folgende Fragen stellen:

  • Was fühle ich wirklich in dieser Situation?
  • Was kann ich auf körperlicher Ebene wahrnehmen?
  • Welche Bedürfnisse sind und bleiben unerfüllt?

Du kannst zudem das Gegenteil formulieren, zum Beispiel: „Ich fühle mich nicht manipuliert.“ Welche Bedürfnisse wären dann bei dir erfüllt?

 

Im Folgenden findest du drei Beispiele zur Verdeutlichung:

1. „Ich fühle mich übergangen.“

Situation: Du wurdest in einer Teambesprechung nicht nach deiner Meinung gefragt, obwohl du dazu etwas beitragen wolltest.

Mögliche „echte Gefühle“: traurig, frustriert, enttäuscht

Mögliche unerfüllte Bedürfnisse: Mitbestimmung, Respekt, Gehörtwerden

Was kannst du tun? Du könnest das Gespräch mit deiner Teamleitung suchen, in welchem du kommunizierst: „Mir ist eine offene Zusammenarbeit wichtig, deshalb möchte ich gerne ein Anliegen mit dir besprechen. Ich habe bemerkt, dass ich in der letzten Besprechung nicht nach meiner Meinung gefragt wurde, obwohl ich etwas beizutragen hatte. Mir ist es wichtig, dass meine Perspektive gehört wird, da ich aktiv mitgestalten möchte.“

 

2. „Ich fühle mich hintergangen.“

Situation: Ein Kollege hat ohne mit dir vorher in den Austausch zu gehen, eine Entscheidung getroffen, die auch dich betrifft.

Mögliche „echte Gefühle“: traurig, wütend

Mögliche unerfüllte Bedürfnisse: Vertrauen, Ehrlichkeit

Was kannst du tun? Du könntest das Gespräch mit deinem Kollegen suchen und ihm mitteilen: „Mir liegt viel an einer offenen und wertschätzenden Zusammenarbeit, deshalb möchte ich gerne ein Anliegen mit dir besprechen. Als du letzte Woche die Entscheidung ohne vorherige Absprache mit mir getroffen hast, habe ich mich ausgeschlossen gefühlt. Für mich sind Vertrauen und offener Austausch sehr wichtig. Ich würde mir wünschen, dass wir zukünftig vorher miteinander sprechen.“

 

3. „Ich fühle mich ausgeschlossen.“

Situation: Du erfährst, dass Kolleg:innen ein Treffen geplant haben, zu dem du nicht eingeladen wurdest.

Mögliche „echte Gefühle“: traurig, einsam, enttäuscht

Mögliche unerfüllte Bedürfnisse: Zugehörigkeit, Gemeinschaft

Was kannst du tun? Du könntest das Gespräch mit deinen Kolleg:innen suchen und kommunizieren: „Mir ist ein ehrlicher Austausch im Team wichtig, deshalb möchte ich gerne ein Anliegen mit euch besprechen. Es hat mich am Montag traurig gemacht, als ich mitbekommen habe, dass ich nicht zum Treffen am Freitag eingeladen wurde, da mir das Gefühl der Zugehörigkeit im Team wichtig ist. Ich würde gerne stärker einbezogen werden.“

 

Das Erkennen und Kommunizieren von Gefühlen ist ein wichtiger Schritt, um diese als auch unsere Bedürfnisse für uns selbst deutlicher benennen und im Alltag wie Partnerschaft, Freundschaft oder Job klarer kommunizieren zu können. Oft sind wir uns unserer Gefühle nicht oder nur diffus bewusst, sind uns unsicher und können sie weder für uns selbst noch für andere klar benennen, was zu Missverständnissen und Konflikten führen kann.

Es kann hilfreich sein, sich einen Überblick über mögliche Gefühle und Bedürfnisse zum Beispiel mittels Gefühlsrad oder Bedürfnisrad zu schaffen.

Eine weitere mögliche Strategie, um deine Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken, sind sogenannte „Ich-Botschaften“, die den vorangengegangenen drei Beispielen zu entnehmen.

Diese Art der Kommunikation schafft Raum für deine Gefühle und Bedürfnisse und lädt zudem auch andere ein, auf diese einzugehen und hat damit Einfluss auf unser wohlbefinden als auch auf unsere Beziehungen und Interaktionen zu anderen.

Exkurs: Warum empfinden Menschen unterschiedlich?

Die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen hilft kann eine wichtige Basis für die eigene Selbstreflexion sein und wirft gleichzeitig auch ein Licht auf eine Beobachtung, die wir sicherlich alle schon einmal gemacht haben: Wir fühlen wir uns manchmal in der gleichen Situation anders als andere. Dies kann an den unterschiedlichen Bedürfnissen liegen, die bei uns in dem jeweiligen Moment erfüllt und unerfüllt sind.

Ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag:

Du erhältst eine E-Mail, in der steht:
„Liebes Team, die heutige Teambesprechung um 14:00 Uhr entfällt.“

Wie fühlst du dich bei dieser Nachricht? Was macht dieser Satz mit dir? Was löst er in dir aus? Vielleicht bist du genervt, enttäuscht, erleichtert? Kannst du dir vorstellen, dass andere Personen möglicherweise anders reagieren als du?
Woran könnte dies liegen?

Person A ist beispielsweise froh, weil A Leichtigkeit wichtig ist. Diese entsteht, weil durch die wegfallende Besprechung mehr Zeit für andere Aufgaben zur Verfügung steht.

Person B hingegen ist genervt, weil B Transparenz wichtig ist. B wurde nicht kommuniziert, warum die Besprechung kurzfristig abgesagt wurde.

Unsere Bedürfnisse sind die Wurzeln unserer Gefühle. Bei unterschiedlichen Personen kann die gleiche Situation unterschiedliche Gefühle auslösen, da unterschiedliche Bedürfnisse erfüllt oder unerfüllt sein können. Für das genannte Beispiel gilt: Die Information „die Teambesprechung entfällt heute“ wird wahrgenommen. Anschließend wird bewertet, inwieweit dies mit den eigenen Bedürfnissen konform ist. Unsere Gefühle entstehen demnach durch die Bewertung, ob und in wieweit bestimmte Bedürfnisse erfüllt sind.

Gefühle als Wegweiser – ein kleines Fazit

Gefühle sind wie Wegweiser: Sie geben uns wertvolle Hinweise auf unsere Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche. Indem wir unsere Gefühle ernst nehmen, ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken und achtsam mit ihnen umgehen, können wir ein tieferes Verständnis für uns selbst entwickeln, bewusstere Entscheidungen treffen und auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen bereichern.

Quelle:

Rosenberg, M. B. (2012). Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Junfermann Verlag GmbH.

Autorin: M.Sc. Psych. Julia Schweitzberger